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20.03.2020 Kategorie: Gemeindeleben

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Predigt zum Sonntag „Lätare“, 22. März 2020, Propst Martin Fiedler

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Gemeinde im Internet,

vor einer Woche sah die Welt noch ganz anders aus. Nichts ist mehr so wie es war, scheint es. Alles ist wie auf den Kopf gestellt. Die tosende Spaßgesellschaft muss die Füße still halten. Tut sie es nicht, sterben Menschen ohne dass es hätte sein müssen. Ob uns als durch persönliche Freiheit tief geprägte Gesellschaft, als Land und Kontinent wohl gelingen wird, jedenfalls einen Monat lang uns selbst komplett zu reduzieren auf das „Notwendige“, auf das also, was die Not wendet?

 

Momentan dürfen wir als christliche Gemeinde nicht mehr zum Gottesdienst in der Kirche oder auch draußen zusammenkommen. Gottesdienst zu feiern geht gerade nur individuell und ohne die Gemeinschaft. Realistisch betrachtet kommen auch sonst außer am Heiligen Abend oder zu Konfirmationen nicht gerade Menschenmassen zum sonntäglichen Gottesdienst. Schade, aber das ist so. Auch da wirkt eben die persönliche Entscheidungsfreiheit. Von außen betrachtet scheint nicht gebraucht zu werden, was Gott uns zu sagen hat und wovon wir gemeinsam auf dem Weg durchs Leben zehren. Wer weiß, vielleicht ändert sich das jetzt und die Not lehrt tatsächlich beten?

 

Doch kann und darf es dabei ja nicht darum gehen, ob sich „die Kirche“ besser fühlt, wenn sich endlich wieder mehr Menschen ihr zuwenden. Es kann kirchlich nur umgekehrt darum gehen, wie sich wohl die Menschen fühlen und was sie brauchen. Gemeinschaft nämlich, das merken wir jetzt, wo sie jäh unterbrochen wird und aus guten Gründen verhindert werden muss. Und zuversichtliche Hoffnung, die mehr ist als ein „es wird schon wieder!“. Also eine tiefe Gewissheit, behütet und getragen zu sein von der Macht Gottes trotz widrigster Umstände. Sie schenkt uns die nötige Ruhe und Gelassenheit und ist genau das Gegenteil von Panik einerseits und Ignoranz andererseits. Tiefe Gewissheit, von Gott getragen zu sein, lässt uns nach vorne schauen ohne in Ängsten aufzugehen. Auch wenn es lange dauern wird, dem Gefühl nach vielleicht zu lange.

 

Siebzig Jahre währte das Exil in Persien, in dem das Volk Israel auszuharren hatte. Es hat diese Zeit genutzt. Es hat nämlich die eigene Geschichte mit Gott und das Scheitern gründlich aufgearbeitet. Es hat die Geschichte mit Gott sogar neu geschrieben und sich der Treue Gottes neu versichert. Prophet Jesaja hat sein eigenes Volk in die Verbannung begleitet. Und in seinem Namen entsteht dann fast drei Generationen später dieser erstaunliche Text (Jesaja 66, 10-14): „Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid. Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust. Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach. Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen. Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden. Ihr werdet's sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.“

 

Es mag auch damals sogenannte „Realisten“ gegeben haben, die solche starke Verheißung zur religiösen Spinnerei erklärt haben. Weil es zwar politischen Anzeichen gab, es könnte wieder in die alte Heimat Israel zurückgehen, aber das noch nicht wirklich Tatsache war. Hoffnung. Glaubensgewissheit. Gottvertrauen. Wer auf Gott setzt, bleibt gestärkt und geöffnet für das, was doch noch möglich ist. Und wenn es kaum zu hoffen war. Die Weltgeschichte hat diesem Jesajatext Recht gegeben, denn im Jahre 519 vor Christus durften die ersten Israeliten nach Hause. Gott hält Wort. Und wer Menschen mit ihm auf gesunde Weise in Kontakt bringt, also ohne Zwang und nicht durch bloße Rituale, wird letztendlich richtig liegen.

Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes. Welch ein starkes Bild für unseren christlichen Glauben! Wir saugen Trost! Denn Gott hat auch uns versprochen: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Ja, man kann das abtun als lächerliches Gefasel. Man kann aber auch davon leben so wie ein Baby genau davon lebt und groß und stark werden kann. Wir brauchen Trost! Bei Gott werden wir ihn finden. Und die Weltgeschichte wird dann ja zeigen, auf welchem Weg wir tatsächlich geheilt, getröstet und gestärkt werden.

 

Auch diese bedrückende Zeit, in der wir die Ausbreitung des Coronavirus zu bekämpfen und zugleich auszuhalten haben, wird vorbeigehen. Und es wird nicht siebzig Jahre dauern bis es soweit ist. Vielmehr ist die Frage an uns selbst und als christliche Gemeinde vor Ort: werden wir uns neu auf Gott besinnen? Werden wir uns innerlich und vielleicht auch äußerlich aufräumen? Ist Gott denn wirklich „tot“, wie viele behaupten? Oder ist Gott nicht doch gerade jetzt höchst präsent und allmächtig in Liebe? „Corona“ ist ganz gewiss nicht sein Werk und Wille. Das würde der Liebe nicht entsprechen. Gott will Leben und nicht den Tod. Und Gott wird sich selber nicht widersprechen.

In seinem Geist sind wir verbunden, auch wenn wir diese Gemeinschaft leiblich gerade nicht pflegen können. Aber diese Zeit wird wieder kommen. Und dann werden wir uns freuen! Einen neuen Tempel wie die Israeliten brauchen wir ja nicht zu bauen. Wir selber sind ja der Tempel, in dem Gott präsent sein will. Und dann gibt es ja auch noch in jedem Ort den Raum aus Stein, der allein vorbehalten ist, um von Gott zu hören, sich zu ihm zu bekennen und ihn zu bitten und zu loben. Da sich zu treffen wird gut tun – uns allen. Ihr werdet's sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten. Amen.

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Beitrag von DR/ Propst Fiedler